Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa,
 
Abkürzung OSZE, englisch Organization for Security and Cooperation in Europe [ɔːgənaɪ'zeɪʃn fɔː sɪ'kjʊərɪtɪ ənd kəʊɔpə'reɪʃn ɪn 'jʊərəp], Abkürzung OSCE, eine Staatenverbindung mit (2001) 55 Vollmitglieder (die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Jugoslawien war 1992-2000 suspendiert); hervorgegangen 1995 aus der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die 1975 mit der »Schlussakte von Helsinki« die grundlegenden Prinzipien des Verhaltens der damals 35 Teilnehmerstaaten untereinander sowie gegenüber ihren Bürgern festschrieb. Bis 1990 bestand die KSZE aus einer Abfolge von Treffen und Konferenzen, die Normen und Verpflichtungen festlegten und in regelmäßigen Abständen deren Verwirklichung überprüften. Der Sondergipfel von Paris (19.-21. 11. 1990) gab der KSZE eine neue Richtung. In der dort verabschiedeten »Charta von Paris für ein neues Europa« wurden die Teilnehmerstaaten aufgerufen, sich den neuen Herausforderungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zu stellen. Um dies zu ermöglichen, wurden zugleich die ersten Schritte der Institutionalisierung getan, in deren Konsequenz das Budapester Folgetreffen (5./6. 12. 1994) beschloss, die KSZE mit Wirkung vom 1. 1. 1995 in OSZE umzubenennen, um der institutionellen Aufwertung des Zusammenschlusses Ausdruck zu verleihen. In der Schlusserklärung von Budapest äußerten die Staats- und Regierungschefs ihren Willen, einer erneuerten KSZE eine größere politische Rolle zuzuweisen. So sollte nun die OSZE das wichtigste Instrument sein, in der eurasisch-atlantischen Region (»von Vancouver bis Wladiwostok«) Krisen zu lösen, Konflikte zu vermeiden und vor deren Entstehen zu warnen. Zugleich wurde betont, dass sich durch den Namenswechsel weder die Prinzipien noch der Status der KSZE und ihrer Institutionen noch die Aufgabenstellung ändern.
 
Entscheidungsfindung und Beschlussfassung beruhen auf dem Konsensprinzip. Dieses kann »in Fällen von eindeutigen, groben und nicht behobenen Verletzungen einschlägiger KSZE-Verpflichtungen« durchbrochen werden, sodass »angemessene Maßnahmen« notfalls auch ohne Zustimmung des betroffenen Staates beschlossen werden können. Beschlüsse, Verpflichtungen und Vereinbarungen sind weiterhin für die Teilnehmerstaaten nur politisch und nicht völkerrechtlich bindend. Zur Förderung der Sicherheit durch Zusammenarbeit in Europa arbeitet die OSZE als regionale Abmachung im Sinne des Kapitels VI der UN-Charta mit anderen nationalen und internationalen Organisationen und Bündnissen zusammen und unterhält Beziehungen zu zahlreichen nichtstaatlichen Organisationen.
 
Strukturen und Institutionen:
 
Alle zwei Jahre findet an wechselnden Orten ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs statt. Einmal jährlich treffen sich die Außenminister im Ministerrat (früher »KSZE-Rat«). Die politischen Direktoren der Teilnehmerstaaten treten mindestens dreimal jährlich in Prag als Hoher Rat (in der KSZE »Ausschuss Hoher Beamter«) und einmal in einem Wirtschafsforum zusammen, um die Ministerratstreffen vorzubereiten und deren Beschlüsse umzusetzen. Im Kongresszentrum Hofburg in Wien tagt mindestens einmal wöchentlich der Ständige Rat (in der KSZE »Ständiger Ausschuss«) als reguläres Gremium für politische Konsultationen und Beschlussfassung sowie das Forum für Sicherheitskooperation (FSK), das sich mit Fragen der Rüstungskontrolle sowie vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen befasst, die Gemeinsame Beratungsgruppe zur Implementierung des KSE-Vertrages (VKSE) und die Beratungskommission Offener Himmel zur Umsetzung des Vertrages Open Sky. Die Parlamentarische Versammlung mit ihrem Sekretariat in Kopenhagen tritt jährlich einmal zusammen, um OSZE-relevante Fragen zu erörtern sowie Erklärungen, Empfehlungen und Vorschläge zur Festigung von Sicherheit und Zusammenarbeit im OSZE-Gebiet zu behandeln. Die Teilnehmerstaaten, die das Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren unterzeichnet haben, können zur Beilegung von Streitfällen den Vergleichs- und Schiedsgerichtshof in Genf anrufen. Diesem wurde bis Ende 2001 noch kein Streitfall vorgelegt.
 
Der Amtierende Vorsitzende (jährlicher Wechsel zwischen den Außenministern der Teilnehmerstaaten nach einem flexiblen Rotationsprinzip) trägt die umfassende Verantwortung für exekutive Maßnahmen und wird in seiner Tätigkeit durch seinen Amtsvorgänger und -nachfolger unterstützt; zu dritt bilden sie die Troika. Der hohe nationale Status der Amtierenden Vorsitzenden hat in der Praxis dazu geführt, dass diese bei der Verwirklichung der OSZE-Beschlüsse und bei den Bemühungen um Konfliktregelung ein wesentlich größeres Gewicht haben als der Generalsekretär. Dieser (Amtszeit drei Jahre) fungiert zwar als Vertreter des Amtierenden Vorsitzenden; primär ist er mit seinem Büro für administrative und kontrollierende Aufgaben zuständig. Das Sekretariat in Wien unterstützt mit vier Abteilungen und einem Büro in Prag die Arbeit der OSZE.
 
Aktivitäten und Initiativen:
 
Der Hohe Kommissar für nationale Minderheiten amtiert als OSZE-Institution in Den Haag und ist für Frühwarnung an den Ständigen Rat und neutrale Konfliktverhütung auf diesem Gebiet zuständig, jedoch kein Ombudsmann für einzelne Minderheiten. Er arbeitet eng mit dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau (aus dem »Büro für freie Wahlen« der KSZE hervorgegangen) zusammen, das sich u. a. mit der Bereitstellung von technischer Hilfe zur Entwicklung nationaler Rechtsinstitutionen sowie der Überwachung der Menschenrechte und der Beobachtung von Wahlen befasst. Beide haben u. a. die Aufgabe, Minderheitenkonflikte, die den internationalen Frieden bedrohen, frühzeitig zu erkennen und dafür zu sorgen, dass die OSZE-Mechanismen zur politischen und militärischen Krisenbewältigung sowie zur friedlichen Regelung von Streitfällen in Gang gesetzt werden. Zu den größten Erfolgen beider Institutionen gehört die Entschärfung der Minderheitenkonflikte in den baltischen Staaten.
 
Die OSZE, eines der Hauptinstrumente zur Frühwarnung, Konfliktverhütung und Krisenbewältigung in Europa, hat in zahlreichen Ländern des OSZE-Gebietes Langzeitmissionen eingerichtet. Ihr Erfolg hängt von vier Variablen ab: 1) der Komplexität und Intensität des Konfliktes, mit dem sie konfrontiert ist; 2) dem inhaltlichen Umfang des Mandats, das sie zu erledigen hat; 3) der Zahl und Kompetenz ihrer Mitarbeiter sowie 4) der Zeit, die ihr zur Erfüllung ihrer Aufgaben zugebilligt wird. Das Dilemma ihrer Arbeit besteht in der Überfrachtung vieler Mandate und der personellen Unterbesetzung v. a. der bis 1995/96 eingesetzten Missionen, was zur fortlaufenden Verlängerung der meisten von ihnen geführt hat. Die erste große Mission wurde mit mehr als 400 Mitarbeitern als Bestandteil des »Abkommens von Dayton« 1995 nach Bosnien und Herzegowina entsandt. Gemeinsam mit der internat. Friedenstruppe SFOR übernahm hier die OSZE wichtige Aufgaben bei der Vorbereitung und Überwachung des Wahlprozesses sowie der Menschenrechte und hatte Hilfestellung bei Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen und Rüstungskontrolle in Bosnien und Herzegowina zu leisten. Die schwierigste Mission war die im Oktober 1998 in das Kosovo entsandte, die nie den vorgesehenen Umfang von 2 000 internationalen Mitarbeitern erreichte und im März 1999 unmittelbar vor dem militärischen Eingreifen der NATO abziehen musste. Ein Akzeptanzproblem der Missionspolitik der OSZE besteht darin, dass alle Aktivitäten des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten und alle Missionen auf Länder mit ehemals kommunistischer Herrschaft zielten, während ethnische Konflikte in westlichen Demokratien bisher nicht auf die Tagesordnung der OSZE-Gremien gesetzt wurden.
 
1997 wurde das Amt eines Medienbeauftragten geschaffen, der Verstöße gegen die Freiheit der Berichterstattung und der Information aufzudecken hat. Das Amt hat der deutsche Politiker und Publizist Freimut Duve inne.
 
Auf Anregung der Europäischen Union schlossen die OSZE-Teilnehmerländer am 20./21. 3. 1995 einen »Stabilitätspakt für Europa«, um Spannungen und Krisen zu verhindern beziehungsweise zu beenden sowie Konfliktfragen zwischen Ländern des ehemaligen Ostblocks zu klären, bevor diese Mitglied der Europäischen Union oder der NATO werden. Dem v. a. aus einer Deklaration über die Grundsätze gutnachbarlicher Beziehungen bestehenden Pakt wurden rd. 80 bilaterale Verträge und Vereinbarungen beigelegt, deren Gegenstand Garantien für nationale Minderheiten und für den Verlauf bestehender Grenzen sind. Auf dem OSZE-Gipfeltreffen am 2./3. 12. 1996 in Lissabon wurde die »Erklärung über ein gemeinsames, umfassendes Sicherheitsmodell Europas für das 21. Jahrhundert« sowie ein »Rahmen für Rüstungskontrolle« verabschiedet, die einen Beitrag zum Aufbau einer tragfähigen Sicherheitsarchitektur für Europa leisten sollen. Am 19. 11. 1999 unterzeichneten die Mitgliedsstaaten auf ihrem Gipfeltreffen in Istanbul eine Sicherheitscharta, die Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im OSZE-Raum fördern soll, und dabei eine Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten bei der Verletzung von Menschenrechten über das Souveränitätsrecht stellt. Sie sieht die Schaffung »Schneller Eingreifgruppen für Expertenhilfe und Kooperation« vor, um die OSZE in die Lage zu versetzen, Hilfeersuchen durch die Entsendung umfangreicher ziviler Feldoperationen rasch nachzukommen. Außerdem sollen ihre Fähigkeiten zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben verstärkt werden. Durch beides könnten die Arbeitsmöglichkeiten der Langzeitmissionen erheblich verbessert werden. In Istanbul wurde ferner eine Neufassung des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) beschlossen.
 
 
P. Schlotter u. a.: Die neue KSZE. Zukunftsperspektiven einer regionalen Friedensstrategie (1994);
 
Conflicts in the OSCE area, hg. v. O. Berthelsen u. S. G. Simonsen (Oslo 1995);
 H.-J. Gießmann: Europ. Sicherheit am Scheideweg. Chancen u. Perspektiven der OSZE (1996);
 Berthold Meyer: In der Endlosschleife? Die OSZE-Langzeitmissionen auf dem Prüfstand (1998).
 
Periodika: OSZE-Jahrbuch, hg. v. Inst. für Friedensforschung u. Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (1995 ff.).
 
Weitere Literatur: Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Universal-Lexikon. 2012.

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